Immer wieder hört ein Autor den Ratschlag, dass der allererste Satz des ersten Kapitels einzigartig und umwerfend sein muss, damit der Leser sofort gefesselt wird und weiter liest. Es gibt viele Beispiele für Buchanfänge, die Lesern für immer im Gedächtnis bleiben. Viele Autoren beißen sich am ersten Satz die Zähne aus, da sie unter dem vermeintlichen Druck stehen, dass ohne einen bezwingenden ersten Satz das gesamte Buch an Wert verliert und nicht gelesen wird.
Korrekt ist, dass Leser (Käufer, Beta-Leser, Lektoren) ein kleines Interessenfenster haben, in dem sie für den Text begeistert werden ... oder aber auch nicht. Es macht also Sinn, einen sehr guten ersten Satz zu haben, als Anreiz weiter zu lesen, um dann mit weiteren fesselnden Sätzen den Leser an die Angel zu bekommen.
Daher setze ich die Wichtigkeit einer fesselnden ersten Seite höher an, als die des einzelnen ersten Satzes zu Beginn. Denn eine fantastische erste Seite ist der Opener für einen Kauf des Buches oder einen Verlagsvertrag, wenn man folgende Punkte beachtet:
- Die erste Seite sollte dem Ton und der Atmosphäre der gesamten Geschichte entsprechen.
- Der Hauptcharakter sollte eingeführt werden.
- Das Hauptsetting und Thema sollten anklingen (Kenne Dein Genre!).
- Es sollten bereits Fragen aufgeworfen werden, die der Leser im Laufe des Textes beantwortet wissen möchte. Dies können Short-Term-, Mid-Term- oder Long-Term-Fragen sein. Sie fungieren als Hook und animieren den Leser zum Weiterschmökern.
- Genrespezifische Feinheiten: Ab Seite 1 muss erkennbar sein, in welchem Genre wir uns befinden. Das Setting sollte entsprechend gestaltet sein, handelt es zum Beispiel um Fantasy, kann Magie ein Weg sein, das Genre dem Leser erkennbar zu machen.
- Einführung einer ansprechenden Erzählstimme, passend zum Genre, die natürlich und konsequent durchs gesamte Buch führen sollte.
- Es sollte eine klare Perspektivwahl geben.
- Bereits auf der ersten Seite sollte eine gewisse Spannung zu spüren sein.
- Lebendige Dialoge können den Leser ebenfalls animieren, weiterzulesen, wenn sie inhaltlich Relevanz für den kommenden Plot haben. (Keine Plattitüden, kein Smalltalk!)
- Vorab die ersten Seiten von Büchern lesen, die man wundervoll fand. Eine Liste erstellen, warum man die erste Seite für packend befunden hat.
Nun folgen noch ein paar Hinweise darauf, was auf jeden Fall auf einer ersten Seite vermieden werden sollte:
- Zu viel Vagheit bitte vermeiden. Der Leser möchte von Anfang an wissen, wo er sich befindet und welche Akteure die erste Seite bestimmen.
- Zu viel Infodump vermeiden. Der Leser möchte eine Geschichte erleben und erfahren und nicht überladen werden mit Erklärungen über Aussehen der Charaktere und Beschreibungen von Landschaften. Informationen können nach und nach elegant einfließen, auf der ersten Seite ist wenig Platz für sie.
- Vermeiden von Wetterbeschreibungen, außer sie sind ein elementarer Bestandteil des Buchs.
- Vermeiden von ellenlangen Gedankengängen, Reflektieren und inneren Monologen.
- Vermeiden, dass der Hauptcharakter sich im Spiegel betrachtet.
- Rückblenden können auf den Leser zu Beginn des Buches langweilig wirken, da er die Charaktere noch nicht kennt und die Handlung unbekannt ist. Ein eher ungünstiger Einstieg in die Geschichte.
- Ebenso langweilig ist es, wenn der Hauptcharakter als Erstes morgens aufwacht. Es sei denn, er liegt in einem fremden Bett und weiß nicht warum. Oder er wacht im Krankenhaus auf. Also etwas Ungewöhnliches ist zuvor geschehen, dann kann dieses Szenario verwendet werden.
Unter Berücksichtigung der vorangegangenen Aspekte kann eine fesselnde erste Seite geschrieben werden. Wie es von hier weitergeht und wie man weitere 200 fesselnde Seiten schreiben kann, das lernst Du in meinem Workshop "Von der Idee bis zur Veröffentlichung ... und alles dazwischen".
Viel Spaß beim Schreiben einer ersten Seite wünscht Dir
Ina
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